Der Atem ist ein mächtiges Werkzeug zur Beruhigung. Lernen Sie einfache Techniken, die Sie überall anwenden können.
Die Atmung ist eine der wenigen Körperfunktionen, die sowohl automatisch als auch bewusst gesteuert werden kann. Diese Brückenfunktion macht sie zu einem einzigartigen Werkzeug für die Selbstregulation. Wenn wir ängstlich sind, atmen wir automatisch schnell und flach. Durch bewusste Veränderung unserer Atmung können wir jedoch direkt auf unser Nervensystem einwirken und den Angstzustand abschwächen.
Der Schlüssel liegt im autonomen Nervensystem, das aus zwei Gegenspielen besteht: dem Sympathikus, der für Aktivierung und Alarmbereitschaft zuständig ist, und dem Parasympathikus, der Entspannung und Regeneration fördert. Bei Angst ist der Sympathikus überaktiv. Langsame, tiefe Atmung aktiviert den Parasympathikus und bringt das System wieder ins Gleichgewicht. Die Fachzeitschrift Psychotherapie und Psychosomatik hat zahlreiche Studien zur Wirksamkeit von Atemtechniken bei Angststörungen veröffentlicht.
Besonders wirksam ist die verlängerte Ausatmung. Während das Einatmen den Sympathikus stimuliert, aktiviert das Ausatmen den Parasympathikus. Wenn wir also bewusst länger ausatmen als einatmen, verschieben wir das Gleichgewicht in Richtung Entspannung. Dieser einfache Mechanismus steht uns jederzeit zur Verfügung und erfordert keine besondere Ausstattung oder Vorbereitung.
Diese Technik wurde von Dr. Andrew Weil populär gemacht und ist besonders effektiv bei akuter Angst und zum Einschlafen. Das Prinzip ist einfach: Einatmen für 4 Sekunden, den Atem anhalten für 7 Sekunden, und ausatmen für 8 Sekunden. Das lange Ausatmen und das Anhalten aktivieren den Parasympathikus besonders stark.
1. Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne legen
2. Durch die Nase einatmen und bis 4 zählen
3. Atem anhalten und bis 7 zählen
4. Durch den Mund ausatmen und bis 8 zählen
5. Vier Zyklen wiederholen, maximal zweimal täglich
Bei Angst und Stress neigen wir zur flachen Brustatmung. Die Bauchatmung, auch Zwerchfellatmung genannt, ist tiefer und entspannender. Dabei dehnt sich beim Einatmen der Bauch aus, nicht die Brust. Diese Art zu atmen ist eigentlich unsere natürliche Atmung, die viele Menschen im Laufe des Lebens verlernt haben. Bei spezialisierten Angsttherapien wird die Bauchatmung als grundlegende Selbsthilfetechnik vermittelt.
Um die Bauchatmung zu üben, legen Sie eine Hand auf den Bauch und eine auf die Brust. Atmen Sie so, dass sich die Hand auf dem Bauch hebt, während die Hand auf der Brust möglichst ruhig bleibt. Diese Übung kann anfangs im Liegen leichter fallen. Mit etwas Übung wird die Bauchatmung wieder zur natürlichen Gewohnheit.
Beim kohärenten Atmen wird in einem gleichmässigen Rhythmus ein und ausgeatmet, typischerweise fünf Sekunden ein, fünf Sekunden aus. Dies ergibt etwa sechs Atemzüge pro Minute, einen Rhythmus, der nachweislich die Herzfrequenzvariabilität verbessert und das Nervensystem balanciert. Die HeartMath Institute hat diese Zusammenhänge intensiv erforscht.
Wenn Angst akut auftritt, etwa bei einer Panikattacke, kann es schwer sein, sich an komplexe Techniken zu erinnern. Eine einfache Notfalltechnik ist das verlängerte Ausatmen: Atmen Sie normal ein und dann doppelt so lange aus. Zum Beispiel drei Sekunden einatmen und sechs Sekunden ausatmen. Diese simple Anpassung kann bereits beruhigend wirken.
Eine weitere hilfreiche Technik ist das Atmen in eine zusammengelegte Hand oder eine Papiertüte. Bei Hyperventilation, die oft mit Panikattacken einhergeht, atmen wir zu viel CO2 aus, was paradoxerweise Atemnot verstärkt. Das Rückatmen von etwas CO2 kann helfen, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Deutsche Angst Hilfe bietet weitere praktische Tipps für den Umgang mit akuter Angst.
Atemübungen sind am wirksamsten, wenn sie regelmässig praktiziert werden, nicht nur in Angstsituationen. Durch tägliches Üben werden die Techniken automatisiert und das Nervensystem wird insgesamt widerstandsfähiger gegen Stress. Schon fünf Minuten tägliche Atempraxis können einen spürbaren Unterschied machen.
Ein guter Zeitpunkt für die Praxis ist morgens nach dem Aufwachen oder abends vor dem Schlafengehen. Manche Menschen finden es hilfreich, die Übungen mit anderen Gewohnheiten zu verknüpfen, etwa nach dem Zähneputzen oder vor der ersten Tasse Kaffee. Die Hauptsache ist, einen Rhythmus zu finden, der zu Ihrem Leben passt.
Mit der Zeit werden Sie bemerken, dass Sie in stressigen Situationen automatisch tiefer und langsamer atmen. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Praxis Früchte trägt und die neuen Atemmuster zu einem Teil Ihrer natürlichen Stressreaktion geworden sind. Geduld und Beständigkeit sind der Schlüssel zu langfristigen Veränderungen.